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Visualisierbare rechtliche Inhalte und Schaubildtypen

Im letzten Beitrag ging es darum, wie juristische Schaubilder zum Verständnis von Rechtsinformationen beitragen. Danach liegt ihre Stärke darin, dass sie wichtige Informationen im Überblick präsentieren und den Adressat*innen eine gewisse Grundorientierung im Thema bieten. Vor allem aber machen sie rechtliche Strukturen sichtbar, über die sich im Recht die Inhalte häufig erst erschließen. Offen blieb im Beitrag allerdings, was mit rechtlichen Strukturen konkret gemeint ist. Was sind das für Inhalte, die sich in Schau- bzw. Strukturbilder verwandeln lassen? Und welche Schaubildtypen eignen sich für welche Inhalte? Diese Fragen beantwortet der folgende Beitrag.

Die Vielfalt rechtlicher Strukturen ist groß. Ich beschränke mich deshalb auf Strukturen und Schaubildtypen, die in meiner Visualisierungspraxis besonders häufig vorkommen:

Schematische Darstellung häufiger Schaubildtypen im Recht: Rechtsmodellskizze, Sachverhaltsskizze, Prozesschart, Zeitstrahl, Baumstrukturbild, Entscheidungsdiagramm, Tabelle

Dabei werden Sie an den Beispielen sehen, dass trotz des Umstandes, dass es für Inhalte einer bestimmten Art jeweils einen passenden Schaubildtyp gibt, das Visualisieren immer eine sehr individuelle Angelegenheit ist: Jedes Strukturbild ist so individuell wie der Inhalt, den es veranschaulicht.

Vorwegschicken möchte ich, dass juristische Strukturbilder in der Regel einer mündlichen oder schriftlichen Erläuterung bedürfen, damit sich ihr Inhalt auch Adressat*innen vollständig erschließt, die keine Vorkenntnisse mitbringen. Umgekehrt sorgen sie dafür, dass mündliche und schriftliche Rechtsinformationen verständlicher werden, weil die Leser*innen und Zuhörer*innen sehen, was gemeint ist, und sich die Zusammenhänge nicht selbst erschließen müssen. Verbale Sprache und Visualisierung brauchen im Recht also einander, um Informationen mit der nötigen Klarheit zu vermitteln (siehe dazu den Beitrag Wie Rechtsvisualisierung das Recht verständlicher macht).

Rechtsmodelle

Beginnen möchte ich mit dem Schaubild zur Leiharbeit aus dem vorigen Beitrag. Visualisiert habe ich hier ein sog. Rechtsmodell. Rechtsmodellskizzen veranschaulichen, wie rechtliche Konstrukte/Regeln oder Rechtsinstitute grundsätzlich funktionieren oder was sie im Kern ausmacht.

Strukturbild, das die Frage beantwortet, wie Leiharbeit funktioniert. Zu sehen sind die drei Beteiligten, nämlich Verleiher, Entleiher und Leiharbeitnehmer sowie die Verträge, die zwischen ihnen geschlossen werden. Zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer ist dies ein Arbeitsvertrag und zwischen Verleiher und Entleiher ein Arbeitnehmerüberlassungsvertrag. Vom Leiharbeitnehmer zeigt ein gestrichelter Pfeil zum Entleiher, an dem Folgendes steht: arbeitet für einen begrenzten Zeitraum beim Entleiher und ist in dessen Betrieb eingegliedert. Beim Entleiher ist zu lesen: bestimmt Ort, Zeit und Inhalt der Arbeit, darf Leiharbeitnehmern Weisungen erteilen und ist neben dem Verleiher u. a. für die Arbeitssicherheit der Leiharbeitnehmer verantwortlich, Beim Verleiher steht, dass er eine Erlaubnis für die Arbeitnehmerüberlassung benötigt.

Andere Beispiele: Wie funktioniert eine Bürgschaft, ein Darlehen, eine Forderungsabtretung oder – um auch ein komplexeres Beispiel zu nennen – die Vorfälligkeitsentschädigung bei vorzeitiger Kündigung eines Wohnimmobiliendarlehens?

Sichtbar wird in einer Rechtsmodellskizze beispielsweise, wer an einem Rechtskonstrukt beteiligt ist, in welcher tatsächlichen oder rechtlichen Verbindung die Beteiligten zueinander stehen und auf welchem Wege Rechtsfolgen eintreten. Grundlage der Darstellung sind in der Regel einzelne oder auch mehrere Rechtsvorschriften.

Sachverhalte

Während Rechtsmodelle als normierte Vorgaben stets abstrakt sind, visualisieren Sachverhaltsskizzen faktische und rechtliche Gegebenheiten in einem konkreten Fall. Sie fassen also anschaulich zusammen, was im tatsächlichen Leben passiert ist und wie die Ereignisse rechtlich einzuordnen sind. Dabei kann auch kenntlich gemacht werden, welche offenen Rechtsfragen es gibt, welche konkrete rechtliche Frage zu beantworten ist bzw. worin das zentrale rechtliche Problem des Sachverhalts besteht.

Die Visualisierung zur Vorfälligkeitsentschädigung zeigt, dass es zuweilen sinnvoll sein kann, Rechtsmodelle anhand eines Beispiels zu erklären. Diese Darstellungen sind zwar nicht mehr völlig abstrakt, trotzdem sind es aber keine Sachverhaltsskizzen.

Nachfolgend die Skizze zu einem erbrechtlichen Sachverhalt. Das OLG Hamm musste hier die Frage beantworten, ob die Tochter (T) der Verstorbenen (M) neben deren Sohn (S) erbt, obwohl T noch zu Lebzeiten ihrer Mutter im Rahmen der Auseinandersetzung des Vermögens ihres verstorbenen Vaters erklärt hatte, ein für alle Mal vom elterlichen Vermögen abgefunden zu sein.

Sachverhaltsskizze zu OLG Hamm, Beschluss vom 22.7.2014, Az. 15 W 92/14. In drei nebeneinander angeordneten Blöcken sind zunächst die gesetzliche Erbfolge nach V, dann der Vertrag der Erben zur Erbauseinandersetzung und schließlich die gesetzliche Erbfolge nach M visualisiert.

Ein weiteres Beispiel aus dem Europarecht: Der visualisierte Sachverhalt der Faccini-Dori-Entscheidung des EuGH.

Auf dem Mailänder Hauptbahnhof wird die Italienerin Paola Faccini Dori von einem Vertreter der Firma X überredet, einen Vertrag über einen Fernlehrgang in Englisch abzuschließen. Kurze Zeit später bereut sie ihre Entscheidung und widerruft den Vertrag. Die Firma X entgegnet, das italienische Zivilgesetzbuch biete keine Möglichkeit, eine Willenserklärung nach Abschluss eines Vertrages ohne Vorliegen eines besonderen Grundes zu widerrufen. Der Vertrag bleibe daher bestehen. Frau Faccini Dori beruft sich daraufhin auf eine EU-Richtlinie, welche die Möglichkeit des Widerrufs bietet. Zu Recht?

Sachverhaltsskizze zum EuGH-Urteil Rs. C-91/92 vom 14.7.1994, die den textlich beschriebenen Sachverhalt  als Szene auf dem Bahnsteig am Hbf Mailand visualisiert.

Verfahrensabläufe

Gerichtliche und außergerichtliche Verfahrensabläufe gehören zu den Inhalten im Recht, die besonders gern und häufig visualisiert werden. Die entstehenden Prozesscharts machen sichtbar, wie und durch wen (materielles) Recht in der Praxis umgesetzt wird, insbesondere auf welchem Weg Personen oder Unternehmen zu ihrem Recht kommen.

Ablauf des Insolvenzplanverfahrens

Im Beitrag Recht anschaulich: Verfahrensabläufe finden Sie weitere Beispiele.

Zeitabfolgen und -bezüge

Steht die zeitliche Abfolge von Ereignissen im Mittelpunkt oder sollen Zeiträume und Ereignisse zueinander in Beziehung gesetzt werden, eignet sich meist der Zeitstrahl als Schaubildtyp. Wie die folgenden beiden Beispiele zeigen, funktionieren Zeitstrahlen auch ohne konkrete Zeitangaben. Im ersten Beispiel, das aus einem Online-Seminar stammt, geht es um eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, nach der die Wertung des § 5 Abs. 1 ArbZG zur 11-stündigen Ruhezeit nicht nur vor der nächsten Schicht gilt, sondern auch vor Betriebsratssitzungen. Nachtschichtarbeiter, die am Folgetag bei einer Betriebsratssitzung anwesend sein müssen, können ihre Nachtschicht deshalb vorzeitig beenden.

Ruhezeit zwischen Schichten gilt auch für Betriebsräte

Im folgenden Schaubild wird dargestellt, welche Folge es hat, wenn ein befristeter Arbeitsvertrag, der zwingend der Schriftform bedarf, zunächst nur mündlich geschlossen wird.

Schaubild zur unwirksamen Befristung eines Arbeitsvertrages wegen Formmangels

Hierarchien und Systematiken

„Es gibt drei Formen der Täterschaft – und zwei Formen der Teilnahme.“ Solche Sätze gibt es in rechtlichen Informationstexten häufig. Man nennt einen Oberbegriff und ordnet diesem Unterbegriffe zu. Es geht also um eine Begriffshierarchie. Um diese zu visualisieren, eignen sich Baumstrukturbilder, die sich – je nach Inhalt – mal mehr, mal weniger weit nach unten hin verzweigen.

Formen der Beteiligung an einer Straftat

Der Anwendungsbereich von Baumstrukturbildern reicht aber noch weiter. Sie bieten eigentlich immer einen guten Visualisierungsansatz, wenn Inhalte näher angeschaut und systematisch in ihre Bestandteile zerlegt werden sollen. Diese Inhalte können auch Gesetze sein. So wird es über ein Baumstrukturbild unter Umständen möglich, die Systematik eines Tatbestandes darzustellen. Ein Beispiel ist die Visualisierung von § 24 Abs. 1 StGB, der die Anforderungen an den Rücktritt vom Versuch regelt:

Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern.

Anforderungen an den Rücktritt vom Versuch: Systematik des § 24 Abs. 1 StGB

Prüfungsabfolgen

Immer und überall wird im Recht geprüft, ob Voraussetzungen von Rechtsvorschriften erfüllt sind, weil dies über den Eintritt oder Nichteintritt von Rechtsfolgen entscheidet. Eine Visualisierung derartiger Prüfungsabfolgen und ihrer Ergebnisse bietet sich immer dann an, wenn in Abhängigkeit von der jeweiligen Fallkonstellation unterschiedliche Rechtsfolgen in Betracht kommen. Der passende Schaubildtyp ist in diesem Fall das Entscheidungsdiagramm. Hier werden die möglichen Konstellationen nacheinander in Form von geschlossenen Fragen abgefragt. Je nach Antwort folgt der Betrachter dem von der Frage ausgehenden Ja- oder Nein-Pfeil und wird entweder direkt zu einer Rechtsfolge geführt oder zur nächsten geschlossenen Frage. So hangelt er sich durch alle denkbaren Fallkonstellationen hindurch und gelangt in jedem einzelnen Fall zu einer Rechtsfolge. Meistens haben die Konstellationen teilweise gleiche Voraussetzungen. Die Inhalte müssen dann auf mehrere Fragen aufgeteilt und diese in eine logische Reihenfolge gebracht werden.

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Feste Zuordnungen und Vergleiche

Und schließlich haben wir noch die Tabelle. Sie ist ein geeigneter Schaubildtyp, wenn man z. B. Begriffen, Sachen oder Personen bestimmte Merkmale zuordnen und/oder sie miteinander vergleichen möchte. Im ersten Beispiel werden mittels einer Tabelle die Begriffe Arbeitsbereitschaft, Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft definiert und miteinander verglichen. Relevant ist die Unterscheidung deshalb, weil im Arbeitsrecht die Frage zu beantworten ist, welche „Dienste“ als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes gelten und welche nicht.

Schaubild, in dem die Begriffe der Arbeitsbereitschaft, Rufbereitschaft und des Bereitschaftsdienstes verglichen werden

Eine Tabelle liegt schon dann vor, wenn man zwei Dinge nebeneinander stellt, um sie zu vergleichen, z. B. echte und unechte Urkunden:

Echte und unechte Urkunden

Sie können aber auch sehr komplex werden, wie die folgende Berechnung der Pflichtteilsquoten im Erbrecht zeigt. Die Komplexität kommt hier insbesondere dadurch zustande, dass die Höhe der Pflichtteilsquoten von diversen Faktoren abhängt und sich die Pflichtteilsquoten aus den gesetzlichen Erbquoten ergeben, die zuvor zu bestimmen sind.

Berechnung der Pflichtteilsquoten bei Zugewinngemeinschaft

Weitere Beispiele für Tabellen finden Sie im Beitrag Recht verständlich vermitteln mit vergleichenden Schaubildern.

Schaubildtypen kombinieren

Wie eingangs erwähnt, ist das Visualisierungsergebnis immer von den konkreten Inhalten abhängig. Allein der Umstand, dass sich ein bestimmter Schaubildtyp zur Darstellung eignet, sagt also noch nichts darüber aus, wie das Schaubild am Ende aussehen wird. Selbst Schaubilder ein und desselben Typs können ein sehr unterschiedliches Erscheinungsbild haben. Das haben insbesondere die Tabellenbeispiele gezeigt. Die Schaubildtypen sind folglich keine Vorlagen, die nur noch mit Inhalten gefüllt werden müssen. Sie sind vielmehr als eine Art Grundbaukasten zu verstehen, der den Einstieg in die Visualisierung erleichtert und erahnen lässt, in welche Richtung die visuelle Reise führen wird.

In der Praxis kombiniere ich Schaubildtypen z. B. auch häufig miteinander. Die folgende Visualisierung des Art. 63 GG enthält gleich drei Schaubildtypen. Die drei Wahlphasen deuten auf einen Verfahrensablauf hin, der blaue Zeitstrahl half dabei, die Information unterzubringen, dass die zweite Wahlphase eine Dauer von 14 Tagen hat, und in den roten Punkten mit den Plus- und Minuszeichen steckt letztlich ein Entscheidungsdiagramm. Es werden im Schaubild zwar keine geschlossenen Fragen gestellt, aus dem Kontext ergibt sich aber, dass die roten Punkte in den ersten beiden Wahlphasen die Frage beantworten, ob die erforderliche absolute Mehrheit erreicht wurde oder nicht. Wurde sie erreicht, tritt die Rechtsfolge im grauen Kasten ein, wurde sie nicht erreicht, geht es in die nächste Wahlphase.

Schaubild zur Wahl des Bundeskanzlers gemäß Art. 63 GG

Auch im Schaubild zum Insolvenzplanverfahren oben werden zwei Schaubildtypen kombiniert, denn es wird nicht nur der Verfahrensablauf visualisiert, sondern außerdem über den Zeitstrahl am linken Rand kenntlich gemacht, welche Dauer die einzelnen Verfahrensabschnitte ungefähr haben. So sind die Adressat*innen nicht nur dahingehend orientiert, was in welcher Reihenfolge im Verfahren passiert, sondern haben auch eine zeitliche Vorstellung von den Abläufen.


Nicola Pridik

Nicola Pridik
Ich bin Juristin und Inhaberin des Büros für klare Rechtskommunikation in Berlin. Mit meinen Dienstleistungen unterstütze ich Sie dabei, Rechtsinformationen verständlich und anschaulich für Ihre Zielgruppe(n) aufzubereiten. Dabei steht die Visualisierung von Recht im Mittelpunkt. kontakt@npridik.de


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