Gespräche zu protokollieren und wichtige Veranstaltungen zu dokumentieren, ist im Berufsleben eine Selbstverständlichkeit – auch für Juristen. Eine inspirierende Informationsquelle sind derartige Aufzeichnungen allerdings meist nicht. Aus gutem Grund verschwinden sie nicht selten ungelesen in Aktenordnern. Anders ist dies bei den visuellen Protokollen, die sog. Graphic Recorder anfertigen. Sie sind nicht nur ein Gewinn für die Veranstaltung selbst, sondern wirken auch darüber hinaus. Wie Graphic Recording genau funktioniert und für welche Veranstaltungen es sich eignet, weiß Matthias Schwert aus München.
Herr Schwert, was genau verbirgt sich hinter dem Begriff Graphic Recording?
Graphic Recording ist ein großformatiges Wandbild, das live während einer Veranstaltung angefertigt wird. Aufgabe des Graphic Recorders ist es, dem Vortrag bzw. der Diskussion zu folgen, herauszufiltern, was wichtig ist, und die herausgefilterten Aussagen in Bilder, Zeichen, Formen und Schlagwörter zu übersetzen. So entsteht auf einer bis zu 5 Meter langen Papierbahn ein visuelles Protokoll der Veranstaltung.
Wie muss man sich das praktisch vorstellen: Steht der Graphic Recorder dann neben dem Moderator oder Vortragenden an der (Moderations-)Wand und zeichnet in Windeseile mit?
Ja, genau. Soll ein Vortrag dokumentiert werden, steht der Graphic Recorder meist an der Seite oder auch weiter entfernt vom Vortragenden. Das hängt natürlich auch immer von den räumlichen Gegebenheiten ab. Meist wird eine Papierbahn an einer sog. Metaplanwand oder einem extra dafür angefertigten Gestell montiert. Es ist aber auch möglich, sie einfach an die plane Wand zu kleben.
Was genau wird visualisiert?
Vor allem werden die wichtigen Inhalte und Statements in Bilder umgesetzt. Stimmungen und Schwingungen finden aber auch ihren Weg ins Bild.
Welche Rolle kommt dem Graphic Recorder zu? Protokolliert er die Veranstaltung als neutraler Zuhörer und Beobachter oder befindet er sich im aktiven Austausch mit den Teilnehmern?
Der Graphic Recorder nimmt eine neutrale Position ein. Es ist nicht seine Aufgabe, in das Geschehen einzugreifen oder es gar zu steuern. Anders ist dies beim sog. Visual Facilitation, das sich gut eignet, um Gruppenprozesse zu begleiten.
Lenkt die visuelle Dokumentation die Teilnehmer nicht vom eigentlichen Geschehen ab?
Im Allgemeinen sollte zu Beginn einer Veranstaltung auf die Tätigkeit des Graphic Recorders hingewiesen und erklärt werden, was er macht und welches Ziel damit verfolgt wird. Dann lenkt seine Arbeit die Teilnehmer nicht mehr ab. Vielmehr kann es spannend für sie sein, die Visualisierungen in bestimmten Momenten gezielt zu beobachten.
Was geschieht am Ende der Veranstaltung mit den Zeichnungen?
Das hängt vom Wunsch des Kunden und dem Ziel der Zeichnung ab. Häufig nehmen Kunden die Abbildungen mit in ihr Unternehmen. Dort finden sie dann in einer Empfangshalle oder sogar im Chefbüro einen Ehrenplatz. Nach der Veranstaltung wird außerdem ein Foto von dem Wandbild gemacht und dem Kunden als PDF- oder JPG-Datei zur Verfügung gestellt. Meist gibt dieser die Daten dann per Internet oder Mail an die Teilnehmer der Veranstaltung weiter.
Warum beauftragen Veranstalter einen Graphic Recorder? Wäre es nicht einfacher und vor allem billiger, ein herkömmliches Protokoll bzw. eine schriftliche Dokumentation der Veranstaltung anfertigen zu lassen?
Das Recording bietet den Vorteil, dass die Teilnehmer einer Veranstaltung ihre Diskussionsbeiträge direkt im Bild wiederfinden und durch die grafische Darstellung sofort sehen können, ob sie richtig mit anderen Äußerungen in Zusammenhang gebracht wurden. Diese Rückkopplung bindet nicht nur die Aufmerksamkeit der Teilnehmer, sie bereichert auch die weitere Diskussion und verbessert deren Ergebnisse. Außerdem ist das Produkt, das Bild, viel unterhaltsamer und klarer als ein seitenlanges verschriftliches Protokoll. Das schätzen die Veranstalter sehr. Nicht zuletzt entsteht ein einzigartiges Bild, das oft seinen Platz an einer Bürowand im Unternehmen findet.
Inwiefern ist Graphic Recording ein Gewinn für die Teilnehmer einer Veranstaltung?
Durch die direkte Verarbeitung ihrer Beiträge wächst die Bereitschaft der Teilnehmer, sich aktiv zu beteiligen. Auch ergibt sich durch die zum Teil humorvoll umgesetzten und vielfach stark gebündelten Inhalte im fertigen Bild ein hoher Wiedererkennungswert. Die Teilnehmer schmunzeln bei der späteren Auseinandersetzung mit den Ergebnissen vielleicht und erinnern Zusammenhänge, Probleme, Gesprächsverläufe.
Nicht zuletzt ist Graphic Recording jenseits von PowerPoint eine neue kreative Methode, Vorträge zu visualisieren und Aufmerksamkeit hervorzurufen, denn für die Teilnehmer ist es etwas Besonderes, den Prozess der Visualisierung live mitverfolgen zu können.
Für welche Veranstaltungen eignet sich Graphic Recording?
Es eignet sich für alle Veranstaltungen, in denen es darum geht, etwas zu präsentieren oder Inhalte aufzubereiten – und dann natürlich für Gruppenveranstaltungen jeglicher Art, in denen Leute miteinander kommunizieren und arbeiten.
Wie sieht es mit Veranstaltungen aus, in denen es um juristische Themen geht? Der Graphic Recorder wird ja in der Regel nicht juristisch vorgebildet sein.
Um eine Veranstaltung visuell zu protokollieren, in der es um ein rechtliches Thema geht, benötigt der Graphic Recorder keine juristische Vorbildung. Lediglich Abkürzungen und Fachbegriffe sollten vorher in einem Briefinggespräch erläutert werden, damit der Graphic Recorder weiß, wovon geredet wird.
Wenn ich mich als juristischer Veranstalter bei Ihnen melde, um Sie als Graphic Recorder zu beauftragen: Wie ist dann das weitere Vorgehen? Inwiefern wollen oder müssen Sie inhaltlich auf die Veranstaltung / das Thema vorbereitet werden? Und welche organisatorischen Maßnahmen sind zu treffen?
Ein Briefing im Vorfeld ist auf jeden Fall sehr ratsam. Der Graphic Recorder sollte einen Überblick über den Sachverhalt und den Stand der Dinge bekommen. Außerdem sollten wichtige Personen, der zeitliche Ablauf, der Arbeitsplatz des Graphic Recorders und gebräuchliche Verhaltensweisen, z. B. vor Gericht, besprochen werden. Abzuklären sind ferner Dos and Donʻts beim Visualisieren: Was darf gezeichnet werden und was nicht? Und es sollte in diesem Zusammenhang geklärt werden, wie der Graphic Recorder und das Graphic Recording an sich vorgestellt werden sollen.
Abschließend noch eine persönliche Frage: Als Graphic Recorder müssen Sie ja nicht nur sehr gut und schnell zeichnen, sondern auch Gehörtes in Windeseile in Bilder umsetzen können. Was fasziniert Sie an dieser Arbeit?
Beim Graphic Recording finde ich immer wieder faszinierend, wie der Prozess der Entwicklung und Entstehung alle Beteiligten in den Bann zieht. Ich habe einen hohen kreativen Anspruch und möchte effektive Sofortprotokolle schaffen, die begeistern, die man leicht versteht und gerne anschaut. Sie sollen den Teilnehmern der Veranstaltung viel geben, aber auch alle anderen sollen etwas damit anfangen können. Und nicht zuletzt soll das Ergebnis dem Betrachter und allen Beteiligten Spaß machen.
Zudem mag ich es, in ein Thema abzutauchen, mit dem ich sonst womöglich nie in Berührung gekommen wäre. So lerne ich jeden Tag dazu.
Herzlichen Dank für Ihre Zeit!
Matthias Schwert hat Kommunikationsdesign studiert, war viele Jahre in renommierten Werbeagenturen tätig und arbeitet seit 2004 als freischaffender Art Director in München. Seit 2007 ist er als Graphic Recorder tätig (www.graphic-recorder.eu).
Menschen zeichnen in Sketchnotes und am Flipchart