Rechtsvorschriften sind abstrakt und Juristen- und Behördendeutsch häufig schwer zu verstehen. Bei der Aufbereitung von Rechtsinformationen für juristische Laien ist deshalb die anschauliche Vermittlung der Inhalte besonders wichtig. Das gilt auch und vor allem für Informationstexte in Leichter Sprache. Zum einen stößt die sprachliche Vermittlung der Inhalte hier schnell an Grenzen, zum anderen richten sich die Texte an Menschen, die sich mit dem Lesen schwertun. Es liegt deshalb nahe, Rechtsinformationen in Leichter Sprache durch Schaubilder zu ergänzen. Die Frage ist: Wie können und müssen derartige Schaubilder aussehen, damit die Zielgruppen sie verstehen? Ein erster Versuch.
Im vergangenen Jahr hat das Niedersächsische Justizministerium eine Broschüre veröffentlicht, die Bürgerinnen und Bürger über die Vorsorgevollmacht für Unfall, Krankheit und Alter informiert. Das Besondere an der Broschüre ist, dass sie nicht nur Informationen in Standardsprache enthält, sondern auch in Leichter Sprache. Angesprochen sind also auch Menschen, die nicht so gut lesen können oder Mühe haben, standardsprachliche Texte zu verstehen. Zu ihnen gehören u. a. funktionale Analphabeten sowie Menschen mit Lernschwierigkeiten oder einer geistigen Behinderung.
Die Übersetzung der Broschüre in Leichte Sprache war Teil eines Pilotprojektes, welches das Ministerium in Zusammenarbeit mit dem Institut für Übersetzungswissenschaft und Fachkommunikation der Universität Hildesheim und dem Amtsgericht Hildesheim durchgeführt hat. In diesem Projekt ging es darum, verschiedene justizbezogene Textsorten nach wissenschaftlichen Grundsätzen in Leichte Sprache zu übersetzen.
Die Broschüre steht auf der Website des Ministeriums als PDF-Datei zum Download zur Verfügung: zum Pilotprojekt Leichte Sprache (mit Downloadlink).
Textwüsten für Menschen mit Leseschwierigkeiten?
Was mir sofort auffiel: Die Broschüre enthält – bis auf das Foto der zuständigen Ministerin im Vorwort – kein einziges Bild, sondern ausschließlich Text. Im standardsprachlichen Teil sind es 22 DIN-A4-Seiten und im Leichte-Sprache-Teil 50 Seiten. Hinzu kommen jeweils noch Formularvordrucke. Der größere Seitenumfang im Leichte-Sprache-Teil ist vor allem darauf zurückzuführen, dass für Texte in Leichter Sprache ein besonderes Layout vorgesehen ist: Jeder Satz steht in einer neuen Zeile und die Schrift ist größer als bei „normalen“ Printprodukten. Die Texte werden damit allein durch ihre Optik besser lesbar. Die Textwüste als solche bleibt jedoch. Auf mich wirkt die Broschüre allein deshalb wenig einladend und ich frage mich: Wie wird dies erst Menschen gehen, die Probleme mit dem Lesen haben?
(Um das gleich klarzustellen: Die fehlenden Bilder sind meine einzige Kritik an der Broschüre. Ich finde es großartig, was im Rahmen des Pilotprojektes geleistet wurde, und kann nur ahnen, wie viel mühsame Arbeit darin steckt. Wenn andere sich daran ein Beispiel nehmen würden, wären wir mit der Leichten Sprache bereits ein großes Stück weiter.)
Inhalte zusätzlich visuell vermitteln
Natürlich könnte man versuchen, passende Fotos oder Illustrationen zu finden, um den Text etwas aufzulockern. Bei juristischen Themen wie der Vorsorgevollmacht ist das jedoch nicht so leicht, da diese meist sehr abstrakt sind. In Bezug auf Illustrationen stellt sich noch ein weiteres Problem: So schön und liebevoll gezeichnet sie auch sind, sie haben häufig eine kindliche Anmutung. In Kombination mit dem speziellen Layout der Leichte-Sprache-Texte wecken sie deshalb schnell die Assoziation, dass es sich um eine Publikation für Kinder handelt. Das ist jedoch nicht der Fall. Juristische Informationstexte in Leichter Sprache richten sich an Erwachsene – so auch die Broschüre zur Vorsorgevollmacht.
Eine Alternative wäre, den Text durch Schaubilder zu ergänzen. Diese bieten den Vorteil, dass sie Inhalte des Textes zusätzlich visuell vermitteln können. Doch nicht nur das. Sie dienen auch als Blickfang und wecken die Neugier des Lesers. Doch wie könnte ein Schaubild zur Vorsorgevollmacht aussehen – und welchen Inhalt könnte es ganz konkret transportieren?
Schaubild zur Vorsorgevollmacht
Ein möglicher Inhalt für ein Schaubild wäre das Prinzip der Vorsorgevollmacht: Ein Mensch, der heute seine Angelegenheiten selbst regeln kann, hält schriftlich fest, wer seine Angelegenheiten regeln soll, wenn er dazu vielleicht irgendwann nicht mehr in der Lage ist, sei es aufgrund seines Alters, eines Unfalls oder einer schweren Krankheit. Da heute für die Zukunft vorgesorgt wird, enthält das Prinzip eine zeitliche Dimension und lässt sich anhand eines Zeitstrahls darstellen. Auf diesem können die einzelnen Stadien vom eigenverantwortlich entscheidenden Vollmachtgeber bis zum Einsatz des Bevollmächtigten abgebildet werden:
Das Vorsorgeprinzip wird in der Broschüre natürlich auch in Textform vermittelt. Ein Schaubild kann die inhaltlichen Aussagen jedoch zusätzlich durch Bilder stützen. Zudem verbindet es einen Teil der vielen kurzen Hauptsätze des Textes optisch zu einer Sinneinheit, fügt also wieder zusammen, was auf sprachlicher Ebene u. a. durch den Verzicht auf Nebensätze verlorengegangen ist. Schließlich lenkt es den Blick des Lesers allein durch seine Existenz auf einen wesentlichen Inhalt.
Texte und Bilder kombinieren
Text-Bild-Kombinationen sind in juristischen Schaubildern üblich: Bilder brauchen in der Regel kommentierenden Text, um eine eindeutige Bedeutung zu erhalten, und Text braucht Bilder, um an Anschaulichkeit zu gewinnen. Ich gehe davon aus, dass dieses Prinzip der visuellen Vermittlung von Inhalten auch den Zielgruppen von Leichte-Sprache-Texten dabei hilft, Inhalte zu verstehen. Eine zentrale Frage war für mich allerdings, ob für die Bildauswahl etwas anderes gilt als für Schaubilder, die standardsprachliche Texte ergänzen. So ist das Schaubild oben nur nachvollziehbar, wenn klar ist, dass die Figuren mit den Pfeilen um den Kopf dafür stehen, dass eine Person Angelegenheiten regeln und Entscheidungen treffen kann. Ergibt sich dies auch für Leichte-Sprache-Leser aus dem Text, der darunter steht, oder ist das Bild zu abstrakt, um den Zusammenhang herzustellen? Oder ist dies gar eine überflüssige Frage, weil es allein auf den Text ankommt? Wer glaubt, die Anwort zu kennen, darf sie mir gern verraten!
Leichte-Sprache-Regeln anwenden
„Leichte Schaubilder“ bestehen zu einem großen Teil aus Text und sollten sich diesbezüglich an denselben Regeln orientieren wie Leichte-Sprache-Texte. Nachfolgend seien vier Regeln genannt, die sich auch auf das obige Schaubildbeispiel zur Vorsorgevollmacht auswirken:
- Es gibt weder Nebensätze noch Kommas.
- Der sog. Mediopunkt dient als Lesehilfe, indem er innerhalb eines zusammengesetzten Wortes die Grenze zwischen den einzelnen Wörtern kennzeichnet.
- Es werden keine Personalpronomen der 3. Person eingesetzt. Im letzten „Stadium“ im Schaubild beginnt deshalb jeder Satz mit „der Bevollmächtigte“ anstatt durch ein Personalpronomen wie „er“ auf das bereits genannte Subjekt Bezug zu nehmen.
- Es wird grundsätzlich nicht gegendert, da dies auf Kosten der Verständlichkeit geht. Im Schaubild steht deshalb „der Bevollmächtigte“, obwohl das Piktogramm darauf hindeutet, dass eine Frau gemeint ist.
Einen wunderbaren Überblick zu den Leichte-Sprache-Regeln mit sprachwissenschaftlicher Begründung liefert das Buch „Leichte Sprache – Das Regelbuch“ von Prof. Dr. Christiane Maaß, die in Hildesheim die Forschungsstelle Leichte Sprache leitet. Das Buch ist Anfang 2015 erschienen.
Man wird jedoch nicht umhin kommen, hier und da auch Kompromisse einzugehen. So müsste im obigen Schaubild eigentlich jeder Satz in einer neuen Zeile beginnen und die Schrift größer sein. Darauf musste ich jedoch verzichten, weil es sonst Platzprobleme gegeben hätte. Sofern derartige Kompromisse nicht ausufern, gehe ich davon aus, dass sie hinnehmbar sind: Zum einen ersetzen Schaubilder den Text nicht, sondern ergänzen ihn. Auf sprachlicher Ebene kommt es also zu Wiederholungen. Zum anderen gewinnt die Vermittlung der Inhalte – gewissermaßen als Ausgleich – an Anschaulichkeit.
Das Problem ist: Texte in Leichter Sprache nehmen viel Raum ein, was einerseits mit dem Layout zusammenhängt, andererseits mit den sprachlichen Prinzipien (z. B. mehrfache Erläuterung schwieriger Wörter). Dies kollidiert mit dem Umstand, dass der Raum für Text in Schaubildern naturgemäß knapp bemessen ist. Bei „Leichten Schaubildern“ wird es also noch schwieriger sein als bei anderen Schaubildern, das Schaubild einerseits nicht mit Text zu überfrachten, sich andererseits aber auch nicht so kurz zu fassen, dass der Betrachter eine Anleitung braucht, um das Schaubild überhaupt lesen und verstehen zu können. Im obigen Schaubildbeispiel trat dieses Problem zwar nicht auf, ich nehme aber an, dass es sich eher um eine Ausnahme handelt.
„Leichte Schaubilder“ einfach mal ausprobieren
Bisher gibt es so gut wie keine Erfahrungen mit Schaubildern in Leichte-Sprache-Texten. Fest steht jedoch, dass Bilder dabei helfen können, Inhalte zu verstehen. Davon gehen auch die verschiedenen Regelwerke zur Leichten Sprache aus. Uns bleibt also nichts anderes übrig, als einfach mal auszuprobieren, was möglich und sinnvoll ist. Von daher kann ich Sie nur ermutigen: Denken Sie bei der nächsten Broschüre oder Online-Publikation in Leichter Sprache, die Sie in Auftrag geben oder als Übersetzer auf dem Tisch haben, doch auch mal in eine visuelle Richtung, sammeln Sie Schaubildideen und scribbeln Sie los. Ihre Zielgruppen werden sich freuen, da bin ich mir sicher. Bei Bedarf unterstütze ich Sie gern.
Nicola Pridik
Ich bin Juristin und Inhaberin des Büros für klare Rechtskommunikation in Berlin. Mit meinen Dienstleistungen unterstütze ich Sie dabei, Rechtsinformationen verständlich und anschaulich für Ihre Zielgruppe(n) aufzubereiten. Dabei steht die Visualisierung von Recht im Mittelpunkt. kontakt@npridik.de
Visualisierung rechtlicher Inhalte in Leichte-Sprache-Texten