Auf dieses Buch war ich richtig neugierig und bestellte es mir sofort, als ich über Twitter davon erfuhr. Nach den Büchern von Mike Rohde endlich ein weiteres Buch über Sketchnotes – und noch dazu eine Anleitung. Wunderbar! Genau das Richtige für mich, die ich gerade meine ersten Sketchnotes gezeichnet habe und dankbar bin für jeden Tipp von Zeichenprofis, wie man es besser machen kann. Ich beschäftige mich als Juristin zwar schon viele Jahre mit der Visualisierung von Recht in Form von Schaubildern und PowerPoint-Präsentationen, aber mit der Hand zu zeichnen, das ist noch mal etwas anderes. Zu Beginn kostete es vor allem Überwindung, die ersten Striche aufs Papier zu bringen. Nun will ich dazulernen und besser werden. Das Buch von Anja Weiss kam da wie gerufen.
Anja Weiss ist Diplom-Designerin. Sie lebt und arbeitet als selbstständige Grafikdesignerin und Illustratorin in Hannover. Vor einigen Jahren hat sie das Graphic Recording für sich entdeckt. Heute macht dieses einen großen Teil ihrer Arbeit aus.
Ein richtig schöner Bildband
Wow, was für ein schönes Buch! Das schoss mir als erstes durch den Kopf, als ich das Buch auspackte. Ich hatte das Gefühl, einen edlen Bildband gekauft zu haben. Das Buch ist nämlich mit 24,5 x 24,5 cm nicht nur groß, sondern auch über 1 kg schwer: 206 Seiten aus dickerem Papier und dann noch der feste Einband. Da kommt einiges an Gewicht zusammen.
Text enthält das Buch verhältnismäßig wenig. Dafür gibt es unendlich viele Bilder — Handgezeichnetes jeglicher Art in Schwarzweiß und in Farbe. Dargeboten wird alles in einem sehr ansprechenden Layout, das von Anja Weiss selbst stammt. Ein Buch also, in dem man gern blättert und bei dem man sich auf jede einzelne Seite freut, weil es viel zu entdecken gibt. Der Preis von 26,90 Euro ist dabei vergleichsweise gering.
Üben gern, aber nicht im Buch
Was mich irritiert hat: Ich werde aufgefordert, in diesen schönen Bildband hineinzuzeichnen. Es gibt einige Seiten, auf denen man angefangene Zeichnungen vollenden soll oder auch ganz leere Seiten, die mit einer Übungsaufgabe versehen sind. Nun ist es so, dass ich generell wenig davon halte, Bücher mit leeren Seiten zu verkaufen. Ein Blatt Papier hat glaub ich jeder noch irgendwo rumliegen und angefangene Zeichnungen lassen sich auch per Download bereitstellen. Bei einem so edlen Buch wie dem von Anja Weiss kommt mir die Aufforderung, selbst Hand anzulegen, jedoch fast vor wie die Aufforderung zu einer Sachbeschädigung. Ich habe ja schon Probleme, interessante Textstellen zu markieren, aus Sorge, das Buch damit zu verschandeln. Wie soll ich es dann schaffen, meine Zeichnungen dort zu verewigen?
Wunderbare Inspirationsquelle
Das Buch ist voller Zeichnungen und Visualisierungsideen. Wer bisher nicht wusste, was er oder sie zeichnen könnte oder Gelegenheiten zum Visualisieren sucht, wird dieses Problem mit Sicherheit los sein. Auch gibt es zwei Seiten, auf denen Übungsaufgaben gelistet sind, und ganz viele Sketchnote- und Graphic-Recording-Beispiele aus der Praxis, die man staunend betrachten (leider allerdings manchmal nur mit großer Mühe lesen) kann. Die Beispiele stammen nicht nur von Anja Weiss selbst, sondern auch von anderen Visualisierungsprofis.
Die Sache mit der Anleitung
Der Untertitel des Buches lautet „Eine Anleitung“. In Kombination mit dem Haupttitel hatte ich folglich erwartet, eine Anleitung zu erhalten, wie ich Sketchnotes erstelle (und natürlich Graphic Recordings, aber die interessierten mich persönlich nicht so sehr). Fakt ist: Ich habe nicht das Gefühl, diese erhalten zu haben. Warum habe ich dieses Gefühl? Schließlich ist das Buch logisch aufgebaut und gut strukturiert. Anja Weiss geht auf die einzelnen Bestandteile von Sketchnotes ein: Grundformen, Schrift, Effekte, Symbole, Rahmen und Farbe. Sie stellt Text-Bild-Kombinationen vor und zeigt anhand von Beispielen, wie man zusammengesetzte Begriffe visualisieren kann. Ist das nicht genug Anleitung? Fehlt mir das Gefühl, angeleitet worden zu sein, möglicherweise nur deshalb, weil ich schon Vorkenntnisse hatte?
Da ist sicher etwas dran. Trotzdem bleibe ich dabei, dass es keine Anleitung zum Erstellen von Sketchnotes gibt. Es ist zwar gut und wichtig, um die Bestandteile von Sketchnotes zu wissen und diese für sich genommen zu beherrschen, ungeklärt bleibt aber die Frage, wie man am besten vorgeht, wenn man eine Sketchnote zeichnen möchte, sei es live oder mit viel Zeit am Schreibtisch. Ich hatte gehofft, hier noch Tipps zu erhalten, die mich weiterbringen. Neben der Vorstellung der Sketchnote-Bestandteile gibt es lediglich eine Doppelseite zum Strukturieren des Formats bei Sketchnotes. Hier werden aber nur verschiedene Formate vorgestellt. Offen bleibt, wann man sich für welches Format entscheiden sollte. Das hätte mich in Bezug auf Live-Visualisierungen interessiert, bei denen man ja nicht weiß, was einen inhaltlich erwartet.
Wer ebenfalls nach einer Anleitung für Sketchnotes sucht: Zwischenzeitlich habe ich in dem Buch „UZMO – Denken mit dem Stift“ von Martin Haussmann auf den Seiten 188 bis 203 einige gute Hinweise entdeckt. Empfehlen kann ich auch den Vortrag von Eva-Lotta Lamm „Five steps to change your note taking“ (englisch).
Die Ausführungen zum Graphic Recording fallen dagegen deutlich ausführlicher aus. Wer hier als Profi neu einsteigt, wird sicher einige hilfreiche Tipps in dem Buch finden. Angefangen bei den Vorbereitungen, dem Equipment, das einzupacken ist, über wichtige Fragen, die vorab mit dem Auftraggeber geklärt werden sollten, bis zum eigentlichen Visualisieren und zur Nacharbeit. Außerdem stellt Anja Weiss in aller Kürze sechs Beispiele aus ihrer Praxis vor. Interessant fand ich hier vor allem zu sehen, wie aus einer völlig überladenen Live-Zeichnung (auf der Veranstaltung wurde viel geredet, aber nicht viel gesagt) durch eine nachträgliche Überarbeitung eine übersichtliche Zusammenfassung werden kann. Zwei Beispiele geben auch einen Einblick in die Vorarbeiten fürs Graphic Recording.
Jedenfalls keine Zeichenanleitung
Ich bleibe beim Thema Anleitung. Hände zeichnen ist ganz schwierig und ich habe es lange Zeit vermieden. Gut also, dass sich im Buch eine Doppelseite den Händen widmet. Allerdings steht dort auch nur, dass es schwierig ist und man es üben soll. Ach so, und es gibt gute Tutorials dazu im Netz. Hilft mir das weiter? Eher nicht. Die vielen Handbeispiele sind natürlich super und laden zum Nachzeichnen ein. Trotzdem hätte ich gern gewusst, ob es da nicht irgendeine Technik gibt, die einem das Händezeichnen erleichtert. Vielleicht gibt es auch Tipps, wie man sich von einfachen Handstellungen zu schwierigeren vorarbeiten kann?
Ich sehe ein, dass das Buch keine Zeichenschule ist und ausführliche Zeichenanleitungen den Rahmen gesprengt hätten, aber wenn man schon auf Themen eingeht, die den meisten beim Zeichnen Probleme bereiten, wie Hände, Gesichter und Körperhaltungen, wäre ein bisschen Anleitung dazu schön gewesen. Schritt-für-Schritt-Anleitungen gibt es nur beim Sternenmännchen, dem Banner und auf der Doppelseite zu Farbe und Schatten.
Nachtrag April 2019: Inzwischen habe ich selbst Zeichenanleitungen für Hände in meinem Blog veröffentlicht. Siehe dazu den Beitrag Hände zeichnen Schritt für Schritt.
Schöner Einstieg und Überblick zu visuellen Notizen
Das Buch ist ideal für Kreative, die bisher lediglich flüchtig mit den Themen Sketchnotes und Graphic Recording in Berührung gekommen sind und mehr darüber wissen wollen. Sie können sich mit nur wenig Aufwand das Basiswissen aneignen und Anregungen zu Einsatzmöglichkeiten erhalten. Für manch einen wird sich bestimmt auch ein neues Berufsfeld eröffnen.
Zielgruppe sind aber nicht nur Grafiker und Illustratoren, sondern auch Menschen, die aus anderen Berufsfeldern kommen und sich privat oder beruflich für die visuelle Aufbereitung von Informationen interessieren. Zu dieser Zielgruppe gehöre ich. Wer neu ins Thema einsteigt, erfährt in aller Kürze, wie man das Zeichnen nutzen kann, wie wichtig die Transformation von Informationen in Bilder ist und wie Bilder wirken. Ungeübte Zeichner werden dazu animiert, mit einfachen Mustern zu beginnen. Ich habe mir die einführenden Seiten gern angeschaut. Sie sind mit viel Liebe und guten Ideen gemacht. Da das Thema Visualisierung für mich nicht neu ist und ich mittlerweile auch etwas Zeichenerfahrung sammeln konnte, habe ich persönlich allerdings nichts wesentlich Neues erfahren. Trotzdem ist die Einleitung wichtig. Wahrscheinlich fängt so oder ähnlich jeder Einsteiger-Workshop zum Thema Sketchnotes an.
Mir ging es eher so, dass ich als Nicht-Grafikerin und Nicht-Illustratorin keine direkte Verwendung für die letzten 50 Seiten hatte, die sich dem Graphic Recording und der Illustration widmen. Sketchnotes interessieren mich dagegen durchaus beruflich. So nah sich Sketchnotes und das Graphic Recording in der Sache sind – für mich liegen Welten dazwischen. Sketchnotes sind für mich eine willkommene Abwechslung in der Visualisierung von Informationen und der Darstellung von Strukturen, die hilft, Inhalte zu verstehen und zu behalten. Auch stehen Sketchnotes für das Visualisieren im Kleinen ohne künstlerischen Anspruch, eine Grundkompetenz und -fähigkeit, die idealerweise jeder haben und beherrschen sollte. Graphic Recording ist dagegen eine Dienstleistung, welche die Ausbildung in einem kreativen Beruf, zumindest aber ein ausgeprägtes zeichnerisches Talent und eine Menge Visualisierungskompetenz und vor allem -erfahrung erfordert.
Kurzum: Beide Themen in einem Buch zusammenzufassen liegt einerseits nahe, andererseits ist die Zielgruppe für Sketchnotes wesentlich größer als die fürs Graphic Recording. Ich nehme mal an, dass Grafiker und Illustratoren umgekehrt die ersten beiden Kapitel nur sehr flüchtig anschauen werden. Das ist aber nur eine Vermutung.
Unterm Strich
Meine Hoffnung, als Nicht-mehr-Sketchnote-Neuling Tipps für die Erstellung von Sketchnotes zu erhalten, wurde nicht erfüllt. Trotzdem empfehle ich das Buch all jenen, die einen Einstieg in die Welt der Sketchnotes und des Graphic Recordings sowie nach Zeichenideen und Inspirationen suchen. Da es so ein hochwertiges Buch ist, eignet es sich auch wunderbar als Geschenk – vor allem für Kreative, die sich nach frischem Input sehnen und Lust haben, etwas Neues auszuprobieren. Kreative Profis, die sich fürs Graphic Recording interessieren, erfahren von Anja Weiss, wie Aufträge vorbereitet und abgewickelt werden. Das Buch hat zwar über 200 Seiten, enthält aber verhältnismäßig wenig Text und lässt sich deshalb schnell lesen. Zeit braucht dagegen das Anschauen der vielen Bilder, zumal diese dazu anregen, selbst zum Stift zu greifen …
Weitere Infos
Das Buch ist im August 2016 im dpunkt.Verlag erschienen. Es kann über den Verlag versandkostenfrei bestellt werden. Auf der Verlagsseite stehen zudem einige Leseproben als PDF-Dokumente bereit, die einen Blick ins Buch ermöglichen.