„Rechtssprache – klar und verständlich …“ – na wenn das mal kein Buch für mich ist. Das dachte ich, als ich Ende letzten Jahres zufällig über das Buch von Dr. Isabelle Thormann und Jana Hausbrandt stolperte. Erstaunlicherweise gehöre ich als Juristin aber gar nicht zur Zielgruppe. Der Untertitel ist eindeutig: Das Buch richtet sich an Dolmetscher, Übersetzer, Germanisten und andere Nichtjuristen. Na sowas! Bestellt und gelesen habe ich es trotzdem. Und ich empfehle es auch anderen Juristen. Wann denken wir schon mal über unsere eigene Fachsprache nach? Was kennzeichnet die überhaupt? Und müssen wir so kommunizieren, wie wir kommunizieren? Das Buch beantwortet vor allem die zweite Frage nach den Charakteristika der Rechtssprache. Zu den Möglichkeiten, sie zugunsten der Verständlichkeit zu verändern, habe ich die Autorinnen des Buches nachfolgend befragt.
Die Rechtssprache ist eine Fachsprache. Sie dient also der effizienten Kommunikation unter Fachleuten. Das hört sich doch gut an. Welchen Grund sollten Juristen also haben, über ihre Sprache nachzudenken?
Juristen müssen sich nicht nur untereinander verständigen. Viele Rechtstexte bzw. bestimmte Texttypen der Rechtssprache werden auch für Nichtjuristen verfasst. Nichtjuristen müssen oder möchten beispielsweise auch mal einen Gesetzestext nachlesen, Behörden schicken Mitteilungen an Bürger, Nichtjuristen verhandeln Verträge und schließen solche ab, stellen Anträge usw. Rechtsanwälte äußern sich gegenüber anderen Juristen, aber auch gegenüber Nichtjuristen, und zwar sowohl schriftlich wie auch mündlich. Leider gelingt es Rechtsanwälten oft nicht, sich in ihren schriftlichen Mitteilungen an Mandanten so auszudrücken, dass sie verstanden werden. Das liegt oft daran, dass Juristen, wenn sie „juristisch denken“, sich auch in „juristischer Sprache“ äußern. Dabei sind sie sich häufig nicht darüber im Klaren, dass sich Syntax und manche Ausdrucksweisen stark von der Umgangssprache unterscheiden. Über juristische Inhalte in allgemein verständlicher Sprache zu schreiben, ist „eine Kunst für sich“, und besonders schwierig ist es, wohlmöglich mehrmals am Tag zwischen beiden Sprachformen hin und her zu schalten, obwohl es immer um dieselben fachlichen Inhalte geht.
Nun ist es aber typisch für eine Fachsprache, dass sie in Gänze nur von Fachleuten verstanden wird. Ist es nicht ein hoffnungsloses Unterfangen, Nichtjuristen in die Fachsprache von Juristen einweihen zu wollen? Immerhin haben Juristen viele Jahre studiert, um sich in der Rechtssprache zurechtzufinden.
Juristen lernen die „RechtsSPRACHE“ allerdings „so nebenbei“. Sie lernen, sich juristisch auszudrücken, während sie sich u. a. mit dem Aufbau des Rechtssystems beschäftigen, mit Rechtsgeschichte und Allgemeiner Staatslehre, während sie Schemata auswendig lernen, den juristischen Gutachtenstil trainieren, sich mit dem Schuldbegriff auseinandersetzen, zu unterscheiden lernen zwischen objektivem und subjektivem Recht, Verfügungs- und Verpflichtungsgeschäft und äußerem und innerem Tatbestand usw. Ja, es wäre ein hoffnungsloses Unterfangen, Nichtjuristen diesen Teil der Studieninhalte beibringen zu wollen. Daher haben wir in unserem Buch eine andere Herangehensweise gewählt, die Nichtjuristen nicht überfordert und ihnen nichts zu vermitteln versucht, was weiterhin den Juristen mit ihrer fundierten Ausbildung vorbehalten bleiben sollte.
Normale Bürger verstehen Dokumente von Behörden, Gerichten und Anwälten sehr häufig nicht, empfinden die verwendete Sprache als abgehoben und den Ton zuweilen sogar als unhöflich. Warum ändern Juristen trotzdem nichts an ihrer Sprache?
Das stimmt: Schreiben von Behörden werden von Bürgern oft als unhöflich und „zu streng im Ton“ empfunden. Das liegt meist an dem für die Rechtssprache typischen Nominalstil, welcher der Sprache vermeintlich etwas „Würdevolles“ verleiht. Die Behörde tritt dem Bürger als eine Obrigkeit entgegen. Die Sprache soll bewirken, dass der Leser den Schreiber respektiert, ihm glaubt und etwaigen Anweisungen folgt. Dabei wird oft gemeint, das schließe einen sprachlich höflichen Stil aus, was jedoch nicht der Fall ist. Es erfordert allerdings Mühe von den Verfassern behördlicher Schreiben, sich umzustellen und ihre Schreiben sowohl höflich wie auch treffend, effizient und klar zu formulieren.
Verrennen sich Verwaltungsbedienstete und Juristen da in etwas? Überschätzen Sie sich gar selbst? Oder muss die Sprache des Rechts tatsächlich so unterkühlt und autoritär sein, weil sich sonst niemand an Regeln halten würde und es keinen Respekt mehr vor der Staatsgewalt gäbe?
Das sehen wir nicht so. Wir glauben nicht, dass die Bürger sich weniger an Regeln halten würden, wenn die Sprache in Behördenbriefen höflicher wäre. Eher im Gegenteil. Und das eine schließt das andere nicht aus.
Könnten Sie sich eine Rechtssprache vorstellen, die auch für normale Bürger positiv besetzt ist, weil sie verständlich ist und ihnen Respekt entgegenbringt? Oder ist eine „verständliche Rechtssprache“ schon ein Widerspruch in sich?
Ja, es ist eine „Rechtssprache“ vorstellbar, die dem Bürger Respekt entgegenbringt. Die Frage, ob es eine „verständliche Rechtssprache“ geben kann, würden verschiedene Juristen sicherlich unterschiedlich beantworten. Sicher ist: „Rechtssprache“ muss bestimmten Anforderungen genügen und wird nie besonders leicht zu verstehen sein. Wenn man jedoch die schlimmsten Verständlichkeitshürden vermeidet, wird alles schon viel besser.
Können Sie uns drei dieser Verständlichkeitshürden nennen? Oder positiv formuliert: Was können Juristen konkret tun, um sich verständlicher auszudrücken?
1. Sie können Sätze kürzen und auf extensiven Nominalstil mit Genitivhäufungen verzichten.
Beispiel:
Vorher: „Die Entkräftung der Argumente des Angeklagten gelang erst nach der Auffindung der Tatwaffe des Komplizen.“
Nachher: „Die Argumente des Angeklagten konnten erst entkräftet werden, nachdem die Tatwaffe des Komplizen gefunden worden war.“
2. Sie können unnötige Satzklammern vermeiden.
Beispiele:
Vorher: „Die Sitzung findet heute nicht hier, sondern im Nebengebäude in Raum B341 (neben dem Aufzug) statt.“
Nachher: „Die Sitzung findet heute nicht hier statt, sondern im Nebengebäude in Raum B341 (neben dem Aufzug).“
Vorher: „Die Kommission schlug mehrere geringfügige Gesetzesänderungen mit konkreten Maßnahmen einschließlich der Vereinfachung der Regeln für Fernabsatzgeschäfte, der erweiterten Umkehrung der Steuerschuldnerschaft bei bestimmten Umsätzen zwischen Unternehmen und der Einführung einer Anlaufstelle für nicht in dem betreffenden Land ansässige Steuerpflichtige vor.“
Nachher: „Die Kommission schlug mehrere geringfügige Gesetzesänderungen vor, und zwar mit konkreten Maßnahmen einschließlich … usw.“
3. Sie können verschachtelte Linksattributionen vermeiden.
Linksattribution bedeutet, dass Informationen zu einem Substantiv, die in der Umgangssprache typischerweise in einem Relativsatz ausgedrückt werden, in Form einer Partizipialkonstruktion links vom Bezugssubstantiv stehen.
Beispiel:
Vorher: „Die Sache wird daher an die Verwaltung zurückgegeben, damit dort die nach Auffassung des mit der Sache befassten Gerichts erforderlichen Feststellungen getroffen werden.“
Nachher: „Die Sache wird daher an die Verwaltung zurückgegeben, damit dort die Feststellungen getroffen werden, die das mit der Sache befasste Gericht für erforderlich hält.“
Gibt es aus Ihrer Sicht irgendeinen Grund, der dagegen spricht, es tatsächlich mal mit diesen Änderungen zu versuchen? Müssen Juristen womöglich einen Ansehensverlust fürchten, oder drohen ihnen andere Nachteile?
Nein, Juristen müssten keinen Ansehensverlust befürchten, wenn sie in der Kommunikation mit Nichtjuristen ihre Sprache vereinfachen, im Gegenteil. Schließlich vereinfachen Sie nicht den Inhalt, über den sie reden, sondern lediglich den Satzbau, die Syntax ihrer Sprache. Sie sollen auch nicht auf Fachausdrücke verzichten. Es geht vielmehr darum, diese zu erklären.
Können Sie uns ein Beispiel für einen verständlichen juristischen Text nennen?
Durchaus. Artikel 31 des Grundgesetzes beispielsweise besteht aus drei Wörtern; er lautet verständlich, kurz und knapp: „Bundesrecht bricht Landesrecht.“
Was an der deutschen Rechtssprache würden Sie auf keinen Fall verändern?
Bestimmte Dinge dürfen nicht verändert werden. Das gilt beispielsweise für eindeutige Zuordnungen von Attributen und für Definitionen. Wohlmeinende Linguisten „wettern“ z. B. oft gegen die Linksattribution, oft ist jedoch eine Konstruktion mit einer Linksattribution (statt mit einem Relativsatz) eindeutig, eine Konstruktion mit einem Relativsatz hingegen nicht.
Beispiel:
Nehmen wir an, es geht um folgenden Satz: „Er kontaktierte die Freundin seiner in Berlin gemeldeten Schwester.“ Verwandeln Sie die Linksattribution in einen Relativsatz, lautet der Satz wie folgt: „Er kontaktierte die Freundin seiner Schwester, die in Berlin gemeldet ist.“ Nun ist der Inhalt aber nicht mehr eindeutig, denn es kann auch gemeint sein, dass es die Freundin ist, die in Berlin gemeldet ist.
Zwei Dinge noch zum Schluss: Verraten Sie uns doch bitte, was es mit dem „schicken Quasi-Passiv“ und dem „deutschen Vertragspräsens“ auf sich hat.
Das „schicke Quasi-Passiv“ ist ein Vehikel solcher Schreiber, die gebildet wirken möchten. Damit einher geht die häufige Verwendung des Verbs „erfolgen“.
Beispiele:
„Die Begrüßung der Delegierten erfolgte im Festsaal.“
„Der Parkplatz ist fußläufig erreichbar.“
Die Regel des „deutschen Vertragspräsens“ ist besonders wichtig für Übersetzer. In anderen Sprachen gibt es für Verträge andere sprachliche Regeln; im Englischen beispielsweise ist das Modalverb „shall“ das Mittel der Wahl, um eine Verpflichtung auszudrücken, und darum geht es ja in Verträgen: um Verpflichtungen. In der deutschen Vertragssprache verwendet man dagegen das einfache Präsens. Man sagt bzw. schreibt also nicht: „Der Lieferant/Mieter/Dienstleister muss XY tun“, sondern einfach: „Der Lieferant/Mieter/Dienstleister tut XY.“
Isabelle Thormann / Jana Hausbrandt
Rechtssprache
klar und verständlich für Dolmetscher, Übersetzer, Germanisten und andere Nichtjuristen
Ein Kompendium, Nachschlagewerk und Lehrbuch über die Charakteristika der Fachsprache des Rechts und eine Hilfe zum besseren Verständnis juristischer Fachtermini.
Teil 1 befasst sich mit sprachlichen Besonderheiten der Fachsprache Recht, Teil 2 dient der Einordnung von Rechtsbegriffen und bietet u. a. Einblick in die Rechtsgebiete und deren Abgrenzung, Teil 3 enthält u. a. Regeln für das Urkundenübersetzen, Zusatzübungen und weitergehende Informationen zu den rechtlichen Inhalten. Weitere Informationen und Bestellung beim BDÜ Fachverlag
Über die Autorinnen
Dr. Isabelle Thormann ist promovierte Linguistin. Studiert hat sie Germanistik, Anglistik und Wirtschaftswissenschaften und betreibt heute u. a. ein auf Wirtschaftstexte spezialisiertes Übersetzungsbüro (www.wirtschaftsenglisch.eu). Außerdem ist sie Lehrbeauftragte an der TU Braunschweig, ehrenamtliche Richterin am niedersächsischen Finanzgericht und öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für Sprachwissenschaften.
Jana Hausbrandt ist Rechtsanwältin mit den Tätigkeitsschwerpunkten Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Arbeits- und Wirtschaftsrecht. Seit 2016 ist sie zudem Notarin.
Beide Autorinnen bieten in Braunschweig gemeinsam Seminare und Webinare zur Rechtssprache an (www.rechtssprache.biz).