Sie sind hier: npridik.de / Blog / Rechtsvisualisierung im Jurastudium: 6 Beispiele

Rechtsvisualisierung im Jurastudium: 6 Beispiele

So viel Lehrstoff in so wenig Zeit vermitteln? Wie soll soll das gehen? Das fragen sich Lehrkräfte in der juristischen Ausbildung schon lange. Die Studierenden wiederum kämpfen mit dem Druck, den gesamten Stoff aus vier Studienjahren im Examen parat haben zu müssen. Eine einfache Lösung für das Problem gibt es sicher nicht. Fest steht jedoch: Didaktische Reduktion ist nötig und mit ihr eine Konzentration auf rechtliche Strukturen und Zusammenhänge. Inwiefern die Visualisierung von Recht dabei helfen kann, zeige ich Ihnen in diesem Beitrag anhand von sechs Beispielen.

Der Beitrag wurde zuletzt im Oktober 2021 bearbeitet.

Überblick über den Lehrstoff: Advance Organizer

Ein Advance Organizer bietet zu Beginn einer Lerneinheit (in advance = im Voraus) einen strukturierten Überblick über den Lehrstoff. Die Lernenden erfahren nicht nur, welche Themen sie im Einzelnen erwarten, sondern haben außerdem vor Augen, in welcher Beziehung Inhalte zueinander stehen. So lernen sie, in Zusammenhängen zu denken und können neues Wissen besser ein- und zuordnen. Der Organizer knüpft außerdem an vorhandenes Wissen der Lernenden an, indem er neuen Stoff zu bekanntem in Beziehung setzt. Er wird von der Lehrkraft mündlich erläutert und ist den Lernenden während des Lernprozesses ein ständiger Begleiter. Eingeführt und erforscht wurde die Organisationshilfe für Lernprozesse in den 1960er Jahren von dem US-Amerikaner David Ausubel.

Einen Überblick über das Thema Advance Organizer mit Quellen zur Vertiefung und Beispielen bietet der Methodenpool der Universität Köln, der von Prof. Dr. Kersten Reich herausgegeben wird.

Nachfolgend ein Advance Organizer für eine Vorlesung zur Bundesstaatlichkeit. Die Kopfzeile ordnet das Thema den fünf Strukturprinzipien unserer Verfassung zu. Im Zentrum steht das Verhältnis von Bund und Ländern, das ich mit zwei Kartengrafiken visualisiert habe. Die roten Kästen benennen die Einzelthemen der Vorlesung. Nach meinem Eindruck eignet sich eine derartige Übersicht nicht nur zum erstmaligen Lernen, sondern auch zum Wiederholen des Stoffes. Wer die Inhalte verinnerlicht hat, müsste mithilfe der Übersicht einen kleinen Vortrag zur Bundesstaatlichkeit halten können, in dem alles Wichtige zur Sprache kommt.

Advance Organizer zur Bundesstaatlichkeit, der wesentlich Begriffe und Facetten des Themas zueinander in Beziehung setzt: z. B. Gebot der Bundestreue, vertikale Gewaltenteilung, kooperativer Föderalismus

Zum Lernen und Wiederholen: Strukturbilder

Um Grundstrukturen des Rechts verständlich zu vermitteln, eignen sich Strukturbilder besonders gut. Visualisieren lassen sich insbesondere Zeitabfolgen, Verfahrensabläufe, Prüfungsschemata, Systematiken, Sachverhaltsskizzen, Personenkonstellationen, Rechtsmodelle und Organisationsstrukturen.

Einfache Strukturbilder können Sie auf einer PowerPoint-Folie platzieren, um sie in der Lehrveranstaltung an die Wand zu werfen. Komplexere Strukturbilder sollten Sie dagegen als PDF-Download anbieten. Für Lernende ohne Vorkenntnisse sind juristische Strukturbilder in der Regel nicht selbsterklärend, erleichtern aber das Verstehen, wenn sie mit einem Text oder Vortrag kombiniert werden. Wer sich mit dem visualisierten Thema bereits beschäftigt hat, kann den Stoff anhand eines Strukturbildes schnell wiederholen.

Hier ein Strukturbild aus dem Strafprozessrecht:

Visuelle Ergänzung des Vortrags: PowerPoint-Folien

PowerPoint-Folien sind auch in der juristischen Lehre mittlerweile Standard, leider werden sie aber ganz überwiegend dazu genutzt, Text an die Wand zu werfen. Dabei verstehen die Studierenden die Inhalte besser und können sie sich leichter merken, wenn sie nicht nur hören, was Sie ihnen erzählen, sondern es auch sehen. Das Recht bietet mehr Ansätze zur Visualisierung, als Sie vielleicht meinen.

Sie können z. B. Sachverhalte aus Gerichtsurteilen ins Bild setzen. Dazu ein (etwas vereinfachtes) Beispiel aus dem Europarecht:

Auf dem Mailänder Hauptbahnhof wird die Italienerin Paola Faccini Dori von einem Vertreter der Firma X überredet, einen Vertrag über einen Fernlehrgang in Englisch abzuschließen. Kurze Zeit später bereut sie ihre Entscheidung und widerruft den Vertrag. Die Firma X entgegnet, das italienische Zivilgesetzbuch biete keine Möglichkeit, eine Willenserklärung nach Abschluss eines Vertrages ohne Vorliegen eines besonderen Grundes zu widerrufen. Der Vertrag bleibe daher bestehen. Frau Faccini Dori beruft sich daraufhin auf eine EU-Richtlinie, welche die Möglichkeit des Widerrufs bietet. Zu Recht?

Und hier die PowerPoint-Folie zu der Entscheidung:

Sachverhaltsskizze zum EuGH-Urteil Rs. C-91/92 vom 14.7.1994, die den zugrunde liegenden Sachverhalt als Szene auf dem Bahnsteig am Hbf Mailand visualisiert.

Darüber hinaus bieten PowerPoint-Folien Raum für einfache Strukturbilder. Auf der folgenden Folie habe ich z. B. visualisiert, in welchem Verhältnis Raub und räuberische Erpressung zueinander stehen, und dabei zugleich die Meinung der Rspr. und Lit. gegenübergestellt.

Kreatives Lernen mit Stift und Papier: Sketchnotes

Sehr viele Menschen fliegen derzeit auf Sketchnotes. Die sozialen Medien sind voll davon. In Zeiten der Digitalisierung ist das Handgemachte plötzlich wieder populär – ein Trend, der auch das Jurastudium bereichern könnte.

„Sketchnotes sind visuelle Notizen, die aus einer Mischung aus Handschrift, Zeichnungen, handgezeichneter Typografie, Formen und grafischen Elementen wie Pfeilen, Kästen und Linien bestehen.“

(Mike Rohde)

Ursprünglich ging es bei Sketchnotes nur darum, die üblichen Mitschriften in Vorträgen und Besprechungen durch visuelle Aufzeichnungen (die durchaus auch einigen Text enthalten können) zu ersetzen, um die eigene Konzentration zu fördern, nur Wesentliches zu notieren und für sich selbst eine Gedächtnisstütze zu schaffen. Tatsächlich ist ihr Anwendungsbereich aber sehr viel größer, denn sie helfen auch in allen möglichen anderen Situationen dabei, Informationen zu verarbeiten und weiterzugeben, Ideen zu entwickeln und Gedanken zu sortieren. Zu tun hat das damit, dass die Kombination von Sprache und Bildern beide Gehirnhälften anspricht und zudem Verstand und Hand zur Zusammenarbeit aufgefordert sind.

Jurastudierende können gleich in zweifacher Hinsicht von Sketchnotes profitieren:

  • Zum einen besteht die Möglichkeit, sich selbst in der Anfertigung visueller Notizen zu üben. So lässt sich wunderbar trainieren, Wesentliches aus einer Vorlesung oder einem Text herauszufiltern und in ein Bild zu übersetzen und damit das eigene Verständnis der Inhalte zu verbessern. (Siehe auch den Beitrag Sketchnotes im Jurastudium – Ideen für Studierende.)
  • Wer nicht selbst aktiv werden möchte, findet in Sketchnotes eine Grundlage zum Lernen und Wiederholen des Stoffes, die sich ebenso wie juristische Strukturbilder auf Wesentliches konzentriert und Strukturen sichtbar macht. Wer Handgezeichnetes mag, wird zusätzlich zum Lernen motiviert, weil es Spaß macht, Sketchnotes anzuschauen.

Die folgende Sketchnote übersetzt § 142 StGB, der das unerlaubte Entfernen vom Unfallort regelt, in ein Bild. Die Darstellung hilft, die Struktur der Vorschrift zu verstehen. Außerdem rückt sie vorab den Schutzzweck der Norm in den Fokus, ohne dessen Kenntnis die Bedeutung der Vorschrift nicht zu erfassen ist.

Komplexe Zeichnung, die den Schutzzweck und die Systematik des § 142 StGB visualisiert

Rechtsbegriffe visuell erkunden: Bildvokabeln

Einfache Zeichnungen eignen sich auch für die Auseinandersetzung mit juristischen Fachbegriffen. Studierende lernen ja gerne Definitionen auswendig, was auch gut ist. Doch was bedeutet die Definition? Was ist der wesentliche Kern des Begriffs? Und was grenzt ihn von Begriffen ab, die eine ähnliche Bedeutung haben? Darüber denkt man automatisch nach, wenn man Bildvokabeln erstellt, also möglichst einfache Bilder für Begriffe sucht und zeichnet. Eine wirklich schöne Übung in jeder Phase des Studiums. Im Beitrag 30 Rechtsbegriffe in einfachen Bildern habe ich mich im Rahmen eines Zeichenprojekts auf Twitter selbst dieser Aufgabe gestellt und durchaus noch Neues über den einen oder anderen Begriff gelernt.

Zum schnellen Wiederholen: die Lernkartei

Wer vor größeren Visualisierungsprojekten nicht zurückschreckt kann auch ganze Rechtsgebiete in eine digitale Lernkartei verwandeln. Umsetzen lässt sich das sehr gut in PowerPoint: Auf jeder Folie behandeln Sie einen kleinen Baustein des Rechtsgebietes und stellen diesen möglichst kompakt in Text und Bild dar. Wenn Sie die vielen Bausteine dann in eine logische Reihenfolge bringen und mit Querverweisen versehen, lässt sich das Rechtsgebiet sehr gut erschließen. Ich habe z. B. mal eine Lernkartei zum Erbrecht erstellt, die am Ende aus rund 400 Folien bestand. Hier ein Folienbeispiel, das ich allerdings gestalterisch überarbeitet habe:

Wenn Sie sich Bilder für die Kernbegriffe überlegen, um sich aus diesen eine Symbolbibliothek aufzubauen, und der Kartei neben der Gliederung noch ein verlinktes Stichwortregister hinzufügen, ist das Ergebnis perfekt geeignet für die Examensvorbereitung.