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Visualisierung in der Mediation – ein Gastbeitrag von Jörg Schmidt

Die grafische Darstellung von Informationen in Textform und/oder Bildern auf Flipchart, Pinnwand oder Moderationskarten wird in Mediationsverfahren immer wichtiger. Festmachen lässt sich das vor allem daran, dass sich viele Beiträge in Fachzeitschriften damit befassen. Zudem benennt die Verordnung über die Aus- und Fortbildung von zertifizierten Mediatoren (ZMediatAusbV) Visualisierungstechniken als Inhalte. Doch wie sieht das Ganze praktisch aus? In welchen Phasen der Mediation sind Visualisierungen sinnvoll? Und was ist sonst zu beachten? Das möchte ich Ihnen nachfolgend anhand eines Beispiels aus meiner Praxis zeigen.

Zwei Landwirte streiten sich

Die Landwirte B und T haben vor drei Jahren ein gemeinsames Unternehmen gegründet. Die damit verknüpften Erwartungen haben sich jedoch nicht erfüllt. Die Zusammenarbeit gestaltet sich schwierig und die Arbeitsbelastung u. a. durch Zupachtungen haben beide unterschätzt. Absprachen und Aufgabenbereiche sind unklar. Zudem führen Gespräche miteinander immer häufiger zu Streitigkeiten. Das Vertrauen in den anderen ist verloren gegangen. Es kommt zu Vorwürfen und Schuldzuweisungen. Die Situation eskaliert endgültig, als einer der beiden die Aufkündigung der Zusammenarbeit androht.

Beide entscheiden sich, einen externen Berater hinzuzuziehen und Mediation als Verfahren zur Konfliktlösung auszuprobieren.

Visualisierung in Phase 2 der Mediation: Themen erheben

In der zweiten Phase der Mediation stellen beide Landwirte ihre jeweilige Sichtweise dar. Nach dem engmaschigen Zuhören und Reformulieren, z. B. von Schuldzuweisungen in Gefühle und Bedürfnisse, übersetze ich folgende Inhalte in ein Bild:

  • die komplexen Themen,
  • die beteiligten Akteure und
  • deren Beziehung zueinander.

So kann ich mich vergewissern, ob ich die Konfliktlandkarte verstanden habe. Die Streitparteien wiederum können korrigieren und fehlende Aspekte ergänzen. Zudem nimmt die Skizze Tempo aus dem Gespräch und fokussiert auf die grundlegenden Themen und weniger auf den anderen. Als das Bild für beide passt, fasse ich die gehörten Konfliktthemen zusammen bzw. bitte die Streitparteien, mir die Konfliktknackpunkte zu nennen, die ich auf dem Flipchart ergänze (auf dem Foto leider kaum zu erkennen: die entsprechenden Textkästen sind im Original blau).

Visualisierung in Phase 2 der Mediation: Themen erheben
Visualisierung der Themen, Akteure und Konflikte in Phase 2 der Mediation

Das Bild bietet nun einen Überblick über die Situation, das „System“ der beiden Familien und Akteure zueinander sowie den Zusammenhang zur GbR. Die Visualisierung der Konfliktlinien ist für die Streitparteien hilfreich, denn sie können jederzeit Bezug darauf nehmen oder weitere Aspekte ergänzen. Beide Landwirte blicken immer wieder auf das Flipchart und orientierten sich mit ihren Beiträgen an dem Bild. Als zentrale Knackpunkte des Konfliktes kristallisieren sich zwei Hauptthemen heraus: die mangelnde Aufgabenteilung sowie der Umgang miteinander.

Welche Vorteile bietet die Visualisierung?

  • Sie hilft, Ideen und Gedanken zu externalisieren und damit für andere zugänglich zu machen.
  • Bilder können Denkmuster offenlegen oder Zusammenhänge beschreiben, Wechselwirkungen aufzeigen und somit insgesamt zum Dialog einladen.
  • Visualisierungen beschreiben Fakten, um eine gemeinsame Grundlage zu schaffen und das Gesagte auf den Punkt bringen.
  • Visualisierungen dokumentieren Beiträge, (Zwischen-)Ergebnisse und erhöhen das gegenseitige Verständnis entscheidend.

Visualisierung in Phase 3 der Mediation: Konflikterhellung

Bei der Erhellung z. B. des Konfliktthemas „Umgang miteinander“ bleibe ich zunächst im verbalen aktiven Zuhören. Somit bin ich präsent und mit meiner ganzen Aufmerksamkeit bei den Streitparteien. Erst als die ersten Emotionen und die dahinterliegenden Anliegen gehört sind, nutze ich das Flipchart und visualisiere das Gehörte in Form eines Teufelskreises. Dabei skizziere ich während des mündlichen Zusammenfassens ein erstes Bild. Mit inhaltlichen Ergänzungen und weiterführenden Beiträgen der Streitparteien und meinen Zusammenfassungen entwickelt sich das Bild immer weiter.

Visualisierung in Phase 3 der Mediation: Konflikterhellung
Der Kommunikations-Teufelskreis von B und T

B wird T gegenüber zuweilen im Ton schärfer, ohne dass der Grund für T nachvollziehbar ist. Es kann z. B. sein, dass B zuvor von seinem (eigenen) Vater im Stall „abgekanzelt“ wurde und dies nun an T auslässt. T muss diese verschärften Töne erst einmal verdauen. So nimmt er sie mit nach Hause und zieht sich zurück. Es fällt ihm schwer, in der Situation gegenüber B eine Grenze zu ziehen. Seine Strategie ist der Rückzug: Er vermeidet den Kontakt bzw. beschränkt ihn auf das Nötigste. Manchmal trifft er auch Entscheidungen selbst, ohne seinen Partner B zu fragen oder dessen Meinung zu hören. B wiederum kann seine Ideen nicht einbringen und gemeinsam besprechen. Ihm fehlt der Ansprechpartner und auch der Raum, sich auszutauschen. Ihm ist wichtig, Dinge gemeinsam zu besprechen. Weil er seinen Partner nur selten antrifft, kann er (auch aus diesem Grund) „schon mal im Ton schärfer werden“. Je schärfer der Ton, desto mehr zieht sich T zurück. Je mehr sich T zurückzieht, desto deutlicher wird B, wenn er seinen Geschäftspartner antrifft.

Dieser Kreislauf – auch in der visuellen Darstellung – war für beide neu und brachte ihnen Klarheit. Beide erkannten mit Blick auf das Flipchart, in welchen „Kommunikations-Teufelskreis“ sie sich immer wieder verstricken. Ihre überraschte Erkenntnis: „Nicht du bist das Problem, sondern wir haben ein Problem. Und das stellt sich so dar!“

An der Stelle war für beide Landwirte der Zeitpunkt gekommen, sich darüber Gedanken zu machen, wie sie die bestehenden Mechanismen vermeiden können und welche Möglichkeiten bestehen, aus dem Kreislauf auszusteigen.

Praxistipp

Hilfreich ist es, wenn Sie beim Visualisieren an der Seite des Flipcharts stehen. Die Streitparteien können dann nachvollziehen, was gerade auf dem Blatt passiert. Sie sehen nicht Ihren Rücken und müssen warten, bis Sie mit der Skizze fertig sind. Sie sehen die Entwicklung des Bildes, sind neugierig und gespannt, was passiert, und können sich dazu Gedanken machen, ob es für sie passt. So beziehen Sie die Streitparteien in den Prozess ein und haben auch die Möglichkeit, aus den Augenwinkeln Reaktionen wahrzunehmen oder mit einer leichten Kopfdrehung Kontakt zu ihnen aufzunehmen.  Diese Art der Visualisierung braucht etwas Übung, doch mit der Zeit werden Sie die nötige Routine gewinnen.

Worum geht es beim Visualisieren in der Mediation?

Das Beispiel zeigt, wie Visualisierungen den Prozess unterstützen können, den Fokus verändern, Verständnis schaffen und komplexe Zusammenhänge und Wechselwirkungen sichtbar machen. Bei der Visualisierung geht es NICHT um Kunst ! Es geht darum, Verständigungs- und Dialogprozesse zu unterstützen. Und auch wenn Sie selbst unzufrieden sind mit Ihren Visualisierungen: Die Streitparteien in der Mediation sind sehr dankbar. Sie sind ausreichend mit sich (selbst) beschäftigt und in ihren Emotionen verstrickt. Sie achten nicht auf die Qualität der einzelnen Bilder, sondern erleben vielmehr die unterstützende Wirkung und die Kraft der Visualisierung.

In welchen Mediationsphasen sind Visualisierungen sinnvoll?

Dazu gibt es durchaus unterschiedliche Sichtweisen. Ich sehe das pragmatisch: Visualisierungen können dort eingesetzt werden, wo sie den Prozess unterstützen. Ich visualisiere von der ersten bis zur letzten Phase der Mediation und stelle auch jede Art von Information grafisch dar, egal ob es sich um sogenannte harte Fakten oder Gefühle und Bedürfnisse handelt. Je größer die Gruppe ist, desto mehr Visualisierungen kommen zum Einsatz.

Wichtig für mich ist, dass Visualisierungen einen Beitrag zum Dialog und zur Konfliktklärung leisten. Dabei stehen die Bedürfnisse der Streitparteien nach Klarheit, Orientierung, Transparenz, Wertschätzung ihrer Beiträge, Gehört werden, Verstehen und Verständnis sowie Effektivität im Vordergrund. Visualisierungen sehe ich somit immer als eine prozessunterstützende Service-Funktion für die Streitparteien und die Kunden. Ich nutze sie NICHT, weil ICH Bilder schön finde oder gern skizziere.

Visualisierungen vorbereiten oder nicht?

Flipcharts, die ausschließlich Informationen präsentieren, bereite ich komplett vor, z. B. den Ablauf der Mediation, den sicheren Rahmen oder auch die „Spielregeln“.

Flipchart: Phasen der Team-Mediation
Vorbereitetes Flipchart zu den Phasen der Team-Mediation

Folgende Charts bereite ich zum Teil vor:

  • Charts, auf denen ich Beiträge der Streitparteien sammeln möchte,
  • Charts, auf denen ich Informationen sichern möchte,
  • Charts, auf denen ich Ergebnisse oder Vereinbarungen festhalten möchte.

Die Flipcharts im obigen Beispiel mit den Landwirte entstanden schließlich auf einem leeren Flipchart vor den Augen der Streitparteien. Sie haben sich aus dem Prozess heraus entwickelt – nach dem Erkunden der Landkarte und dem empathischen aktiven Zuhören.

Und wenn Sie nicht zeichnen können?

Als Mediator brauchen Sie kein künstlerisches Talent, wohl aber den Mut, sich zu vermalen. Es braucht keinen perfekten Strich in den Motiven. Krakel, Kritzel und Skizzen unterstützen Ihre Visualisierung, solange die Schrift lesbar ist. Dazu kommen noch Container, Rahmen und Farben, die Inhalte gliedern und strukturieren. Legen Sie einfach los und probieren Sie es aus. Es ist viel einfacher, als Sie vielleicht denken.

Gibt es Fortbildungsangebote zur Visualisierung in der Mediation?

Ja, mittlerweile gibt es auch speziell zur Visualisierung in der Mediation Trainingsangebote. Schon an einem Trainingstag lernen Sie einfache und sehr wirkungsvolle Techniken kennen, die Sie gleich anwenden können. Sie gewinnen Sicherheit und am Ende des Tages stehen auch Sie vor Ihrem Flipchart und sagen: „Wow, ich kann’s ja doch – und es macht auch noch Spaß!“

Alle Bilder und Zeichnungen: Jörg Schmidt (Beitragsbild bearbeitet von Nicola Pridik)



Über den Autor
Jörg Schmidt arbeitet als Mediator und Ausbilder für Mediation. Seit einigen Jahren ist sein Schwerpunkt die Visualisierung. Als Trainer und Autor des Buches „Einfach visualisieren“ führt er eintägige Praxis-Trainings durch. www.einfach-visualisieren.com


Buchrezension: Einfach visualisieren von Jörg Schmidt

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